Brasilianische Lebensenergie in Brakel
Axé! Rückkehrer-Familie lebt Capoeira

João Pessoa, amtlich portugiesisch Município de João Pessoa, ist die Hauptstadt des brasilianischen Bundesstaates Paraíba und die östlichste Stadt Südamerikas. Nahezu 900.000 Einwohner leben hier unter Palmen an den atlantischen Stränden. Für anderthalb Jahre war es auch die Wahlheimat für die vierköpfige Familie da Silva Dias, die mit ihren damals zwei kleinen Söhnen aus Deutschland in das Heimatland des Vaters Anderson ausgewandert ist. Die Sehnsucht nach der Familie väterlicherseits, nach den brasilianischen Wurzeln und der südamerikanischen Capoeira-Kultur ließen sie in Deutschland alle Zelte abbrechen.

Capoeira – die afro-brasilianische Kampfsportart, vereint Angriffstechniken mit akrobatisch-tänzerischen Elementen und rhythmischer Musik. Obwohl es als Kampfkunst bezeichnet wird, „kämpft“ der Capoeirista nicht, sondern „spielt“. Capoeira spielte von Anfang an auch für die Familie da Silva Dias eine zentrale Rolle. Anderson da Silva Dias (44) ist selbständig als Capoeira Meister tätig und europaweit ein gut gebuchter Trainer. Auch die gebürtige Brakelerin Judith (40) war schon zu Studienzeiten an der Uni Paderborn begeisterte Capoeirista. Und so traf sich, was sich treffen sollte: An einem der Kurse von Anderson in Bielefeld nahm auch Judith teil. Die Diplom-Pädagogin, die heute an einem Berufskolleg im Kreis Höxter tätig ist, und der Capoeira Meister fanden ihren gemeinsamen Lebensmittelpunkt zunächst für acht Jahre in Paderborn, wo auch die beiden Söhne (heute 13 und 9 Jahre alt) zur Welt kamen. Alle vier haben sprichwörtlich Capoeira-Rhythmus im Blut, und auch die dreijährige Tochter der mittlerweile fünfköpfigen Familie wird sicherlich schon bald diese Begeisterung teilen.

Capoeira-Community

„Wir erziehen unsere Kinder bilingual. Als Brasilien für uns realistisch wurde, war die Sprache für die Kinder also keine Barriere und der neue Lebensort weniger fremd“, berichtet Judith da Silva Dias, die selbst fließend portugiesisch spricht. Die brasilianische Lebenslust und natürlich die Capoeira-Community haben sie an der südamerikanischen Atlantikküste für etwa anderthalb Jahre in vollen Zügen genossen. Judith wollte sich als Englischlehrerin und in Freizeitprojekten mit Jugendlichen eine neue berufliche Basis aufbauen, Anderson konnte als Capoeira-Meister den Lebensunterhalt der Familie behaupten. Doch bei aller Leidenschaft für Brasilien: die allgegenwärtige Kriminalität bestimmte das Leben der jungen Familie mit ihren zwei kleinen Kindern.

Sicherheit geht vor

Die Kriminalitätsrate und die Gefahr, Opfer eines Raubüberfalls oder eines anderen Gewaltverbrechens zu werden, sind in Brasilien hoch, besonders in den Großstädten (vgl. Auswärtiges Amt, Brasilien: Reise- und Sicherheitshinweise). Der Nordosten leidet unter der höchsten Gewaltkriminalität in Brasilien. Drogenbanden und Milizen bekämpfen sich gegenseitig und die Polizei. Schusswechsel und bewaffnete Überfälle sind keine Seltenheit. Mit Natal und Recife befinden sich zwei der gefährlichsten Städte der Welt in Nachbarschaft von João Pessoa. Es wurde schlichtweg zu gefährlich für Leib und Leben. Schweren Herzens folgten sie der Vernunft und entschlossen sich, wieder zurück nach Deutschland zu ziehen. „Rückblickend hat die Zeit in Andersons Heimat das Identitätsgefühl der Kinder für den brasilianischen Teil ihrer Persönlichkeit gestärkt. Wenn die Rahmenbedingungen nicht so unsicher gewesen wären, wären wir auch gerne geblieben.“ erinnert sich Judith. Aber die Entscheidung war gefallen.

„Es lief erstaunlich reibungslos“

Für den Neuanfang in Deutschland entschieden sie sich für Brakel, Heimatsstadt von Judith. Hier gab es familiäre Anknüpfungspunkte und es schien ihnen ländlich genug, um sicher und naturverbunden aufzuwachsen und groß genug, um familienrelevante Infrastrukturen für Bildung, Freizeit (u.a. Hallen- und Sommerbad, DLRG-Ortsgruppe) und Gesundheitsversorgung vorzufinden. Neben einem schmucken Kino hatte sogar ein Kinderarzt kürzlich eine neue Niederlassung eröffnet. Ohne Job und eigene Wohnung ging es somit zurück nach Ostwestfalen.

„Wir sind zunächst bei meiner Familie untergekommen, konnten aber schon nach vier Wochen eine passende Wohnung in der Brakeler Innenstadt beziehen“, erzählt Judith. „Sowieso lief alles erstaunlich reibungslos. Wir hatten direkt zwei Kitaplätze in Aussicht. Nur drei Monate nach unserer Rückkehr konnten wir die Eingewöhnung im Sommer zum neuen Kita-Jahr starten. Auch die Jobsuche war schnell erledigt und sogar ein Kredit für ein Auto war möglich, ohne dass wir lange Arbeitsverhältnisse nachweisen konnten. Das Bürgerbüro der Stadt Brakel und die zuständigen Stellen beim Kreis Höxter haben uns schnell und unbürokratisch weitergeholfen. Ich denke, das sind auch Vorteile des Wiederkommens, dass man noch Kontakte hat und vielen Leuten noch bekannt ist.“

Lebensenergie Capoeira

Natürlich begleitet sie Capoeira auch weiterhin in ihrem Leben. Judith, unter ihrem Capoeirista Namen Siri Jejuei, ist graduierte

Aktuelle Angebote für Capoeira Interessierte:

TV Brakel 1890 e.V. – donnerstags 17-18.30 (ab 6 Jahren) und freitags 17-18 Uhr (Akrobatik Schnupperangebot)

mediFit SC Grün-Weiß Paderborn – Kurse für Kinder, Jugendliche und Erwachsene

Capoeirista und bietet spezielle Kleinkinder und Familien Angebote (Family Capoeira) über das Frauen- und Familienzentrum Brakel an: „Capoeira beinhaltet viele Elemente, die sich positiv auf die Entwicklung eines Kindes auswirken, sowohl in motorischer, musikalischer als auch in sozialer Hinsicht. Es vermittelt Spaß an Rhythmus und Bewegung, stärkt das Selbstbewusstsein und fördert die Integration. Allerdings ist es ein Sport, der noch zu unbekannt ist und an den sich leider noch zu wenige rantrauen.“ Auch eine selbständige Tätigkeit als Capoeira Meister ist in einer ländlichen Region wie dem Kreis Höxter nicht erste Wahl. Dank offener Ohren des TV Brakel 1890 e.V. konnte Anderson aber bereits kurze Zeit nach ihrer Rückkehr ein erstes Angebot für regelmäßige Trainingsstunden anbieten. Gleichzeitig ist er in Paderborn mit regelmäßigen Kursen für Kinder, Jugendliche und Erwachsene aktiv und auch international viel unterwegs. Auch wenn Corona ihnen einen Dämpfer verpasst hat, sind Capoeirista Menschen, die nicht so schnell aufgeben und dranbleiben. „Einer unserer Glücksmomente war unsere erste Capoeira Batizado, ein mehrtägiges Event mit verschiedenen Workshops und Gastlehrern, bei dem die Capoeira Schüler nach Monaten des Trainierens ihre erste Graduierung oder aber, wie unser ältester Sohn, eine weitere Kordel in der Leistungsstufe erhalten haben. Das war ein besonderer Moment des „Angekommen seins“ für unsere Capoeira Familie und für uns persönlich.“

Rückkehr gut – alles gut?

War die Rückkehr die richtige Entscheidung? „Für uns fühlt es sich richtig an. Ich denke aber auch, es ist immer eine Bereicherung für eine Region, wenn es dort Menschen gibt, die in der Welt zuhause sind und die über den Tellerrand geblickt haben, die Vielfalt in die Heimat mitbringen, die die Lebensumstände wie Sicherheit und Bildungschancen zu schätzen wissen, gleichwohl mit der Erfahrung, dass es auch auf der anderen Seite der Welt wunderbar zu leben war. Axé!“

(Axé wird in der Capoeira oft als Grußformel oder als Ausdruck von guter Energie verwendet)